Urbane (De)kodierungen, 2019

Ausstellungsprojekt, sehsaal, Wien

mit Claudia Dorninger-Lehner

kuratiert von Gabriele Baumgartner

im Rahmen der Foto Wien

Urbane (De)kodierungen, 2019

Installationsansichten, sehsaal Wien I Foto: Claudia Dorninger-Lehner

Die Geschwister, Künstlerinnen und Architektinnen Claudia Dorninger-Lehner und Julia Dorninger bewegen sich immer wieder mit ihren künstlerischen Projekten an der Schnittstelle von Kunst und Architektur. In der eigens für den Projekt – und Kunstraum sehsaal konzipierten Ausstellung „Urbane (De) kodierungen“ setzen sich beide intensiv mit dem Thema des öffentlichen Raumes, dessen Strukturen, Relationen, Auflösung und Möglichkeiten auseinander. Während Claudia Dorninger-Lehner fotografisch die Wahrnehmung des urbanen Raumes im Kontext von Zeit und Erinnerung erforscht, untersucht Julia Dorninger die Aneignung von Raum durch menschliches Handeln in einer raumgreifenden Installation.

 

In Claudia Dorninger-Lehners Serie „Was bleibt“ wird der Raum als ein Aggregat aus sichtbaren wie unsichtbaren Strukturen, Inskriptionen und Erinnerungen begriffen. Am Anfang legte sie unterschiedliche Wegstrecken zurück, indem sie etwa 100 einzelne Momentaufnahmen fotografierte und anschließend zu einem einzigen Bild verdichtete. Sie hinterfragt, wie wir bewusst oder unbewusst urbane Strukturen wahrnehmen und inwiefern subjektive Erinnerung in objektive Wahrnehmung eingebettet ist. Können durch die experimentelle Aneignung der „Realität“ weitere Wahrnehmungskategorien der Befindlichkeit angelegt werden, welche die Wirklichkeit neu bewerten?

 

Julia Dorninger setzt sich in ihrem Projekt „Narratives of urban space“ mit der Fragestellung auseinander, auf welche Weise über soziale Prozesse und verschiedene Formen der Aneignung Raum neu strukturiert werden kann. In ihren Arbeiten untersucht sie das performative Element des öffentlichen Raums und hinterfragt dessen Auswirkungen auf die Konzeption von Architektur bzw. dessen Handlungsmacht. Hans Hollein hat in seinem Manifest von 1968 Architektur als Mittel der Konditionierung und Erweiterung der Sinne und damit als ein Medium verstanden. Hier stellt sich die Frage: Sind starr gebaute Strukturen das passende Medium? In Julia Dorningers Arbeiten wird Raum nicht als eine abgeschlossene Entität, sondern als fortwährender Prozess betrachtet, der von Handlungen und Bewegungen erzeugt wird und als ein kontinuierlich produzierter, nie abgeschlossener Raum, in dem Struktur situativ entwickelt und optimiert wird.

 

In dieser Ausstellung loten beide Künstlerinnen intensiv die Strukturen und die subjektiven Wahrnehmungen des Raums in Relation zu Zeit und Erinnerung aus und hinterfragen die Kodierung bzw. die Dekodierung des urbanen Raumes.

 

(Text: Gabriele Baumgartner)

Urbane (De)kodierungen, 2019 I Holz, C-Print auf Dibond (30x40 cm), Dimensionen variabel

Foto: Claudia Dorninger-Lehner

80 Handlungen im urbanen Raum, Federzeichnungen auf Papier, japanische Bindung, 2018

Lange Zeit wurde Raum im Architekturdiskurs als eine unveränderliche Struktur betrachtet. Erst der französische Soziologe Henry Lefebvre erweiterte den Raumbegriff um eine soziale und eine geistige Komponente. Für Lefebvre stellt Raum ein gesellschaftliches Produkt dar, das durch Handlungen und soziale Interaktion erst erzeugt wird. Eine Definition über Handlungen im urbanen Raum kann die Stadt neu strukturieren und zu einem lebendigen dynamischen Körper werden lassen. Individuelle Handlungen und soziale Interaktionen definieren für mich die eigentliche Form von Wirklichkeit des öffentlichen Raumes und sind zugleich Spiegel sozialer Konventionen und politischer Normen. Menschliches Handeln bildet so eine Verbindungsstelle zwischen dem Alltäglichen und dem Gesellschaftlichen bzw. Politischen.

80 Handlungen im urbanen Raum, Federzeichnungen auf Papier, 2018