Einzelausstellung in der Galerie Die Kunstschaffenden, Linz
Achtung Staatsgrenze
Ausstellungsansichten, Die Kunstschaffenden, Linz, 2025
Fotos: Katharina Acht
Von Marlene Elvira Steinz, Kuratorin und Kunsthistorikerin
Linz, 2025 (Ausschnitt)
Seit mehreren Jahren erforscht Julia Dorninger in ihrem Projekt „(Re)mapping traumatized landscapes“ (Neukartierung traumatisierter Landschaften)- ich zitiere die Künstlerin: „welchen Beitrag künstlerische Forschung im Feld der erweiterten Zeichnung und die damit verbundene Generierung von verkörpertem Raumwissen in Hinblick auf die Auseinandersetzung und den Umgang mit traumatisierten Orten, leisten kann.“ Mit einfachen Worten bedeutet das, durch transformatives Zeichnen - Grenzen überwinden und Räume gewinnen im Sinne der Embodiment Theory. In dieser Ausstellung mit dem Titel „Achtung Staatsgrenze“ wird diese Forschungsarbeit am Beispiel des ehemaligen Eisernen Vorhangs in der Gegend rund um Bad Leonfelden erforscht.
Julia Dorninger spricht mit ihrem Titel „Achtung Staatsgrenze“ viele Themen an, worauf ich im folgenden eingehe.
Sie behandelt die Grenze des Eisernen Vorhangs im oberen Mühlviertel im zweiten Weltkrieg, die noch immer im Wald erkennbar ist. Wir sprechen hier nicht von einer Grenzlinie, sondern von einem Grenzraum - einem oft mehrere Kilometer breiten Band, das entlang der eigentlichen Grenzlinie verlief. Diese Tatsache weckte in ihr die Neugierde, zu recherchieren, welche (natur)räumlichen Elemente diese Grenze in der Zeit des Kalten Krieges tatsächlich formten bzw. welche heute noch vorhanden sind und welche assoziativen Bedeutungsebenen diese gespeichert haben.
Grenze wird hier nicht als Abgrenzungslinie, sondern als Raum betrachtet, der sich über sichtbare sowie unsichtbare Elemente konstituiert und einerseits als Ort, an dem Ästhetik produziert wird, andererseits als ästhetisches Produkt erfahrbar wird. Ausgangspunkt dieser Betrachtung ist für Julia Dorninger die These von Svend Erik Larsen, die besagt, dass jede Grenze eine ästhetische Komponente haben muss, die über die sinnliche Wahrnehmung erfahrbar wird.
Bei ihren zahlreichen Aufenthalten in den Grenzlandschaften arbeitete die Künstlerin en plain air, um die Atmosphäre in der ehemaligen Todeszone des Eisernen Vorhangs unmittelbar und situativ zu erleben und den diesen Orten inhärenten Beziehungen zwischen Raum, Körper, Geschichte und Erinnerung nachzuspüren. Dabei konnte untersucht werden, wie der eigene Körper mit Grenzen interagiert oder auf sie reagiert und über welche künstlerischen Handlungsformen sich diese Resonanzräume in visuelle bzw. strukturelle Notationen übersetzen lassen können, auch in Bezug auf das Sichtbarmachen von in den Raum eingeschriebenen Bedeutungskonstruktionen. Entstanden sind dabei Arbeiten, in denen sich historische Fakten zu den geschichtlichen Ereignissen entlang der Grenze mit subjektiv Erlebtem und fragmentarischen Erinnerungen an die eigene Kindheit im Mühlviertel mischen und zu einer neuen Gegenwart formen.
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Nicht in der statischen Ruhe entstehen die Bilder, sondern in Bewegung. Der Raum wird performativ befragt und erfahren, die Spuren werden festgehalten.
Es ist ein Denken, Handeln, Bewegen und Agieren, im mit Geschichte und Geschichten aufgeladenen Raum. Das Ergebnis ist eine Mischung aus historischen Fakten, territorialen Gegebenheiten, persönlicher Erinnerung (an die Kindheit im Mühlviertel) und individueller Übersetzung von Atmosphäre.
Und ich stelle eine letzte Frage:
In welchem Verhältnis zwischen Imagination und Realität lässt sich die künstlerische Auseinandersetzung mit Flucht, Krieg und Grenze verorten?
Was Julia Dorninger malt, sind innere Landschaften - intime Landschaften.
Die biologische Natur dieser Gemälde ist nicht das Ergebnis der Konzentration auf den Prozess des organischen Wachstums und bezieht sich nicht auf irgendwelche Synthesen oder wissenschaftliche Validierungen.
Hier ist die biologische Form das empfindlichste Werkzeug.
Sie ist in der Lage, die flüchtigen Empfindungen festzuhalten - die Fluktuation der verschiedenen Zustände der eigenen und der kollektiven Psyche zu erfassen und aufzuzeichnen -, die biologischen Formen lassen Tentakel los, verzweigen sich und dehnen sich so weit aus, wie es die Grenzen des Papiers zulassen. So entsteht eine Landschaft, die die Essenz eines Traumatas bildlich verkörpert.
Von Aquarellen mit Tusche, Graphit und Buntstift hin zu Bildern mit bioamorphen Formen und organischer Abstraktion, die die erlebten kollektiven Traumata auf eine symbolische Landschaft übersetzen. So werden die biologischen Formen zu Instrumenten mit denen fließende, pulsierende Empfindungen eingefangen werden.
Aus diesem Geflecht von wachsenden, sich verzweigenden Linien und Formen entsteht eine Landschaft als eine Art der Kartierung von unbewussten Zuständen im wirklich - unwirklichen Grenzraum.
In der künstlerischen Auseinandersetzung von Julia Dorninger mit Flucht, Krieg und Grenze legt sie ihren Fokus der Ausstellung auf das Bewusstsein und die Forderung nach einer Erinnerungskultur zur Aufarbeitung der Verbrechen des Holocausts in ihrer De-Konstruktion und Repräsentation von Grenze.
Durch ihre eigene Familiengeschichte und ihren zweiten Lebensmittelpunkt in Bad Leonfelden hat sie auf ihre persönliche Art diese schwere noch immer spürbare Atmosphäre im oberen Mühlviertel in ihren besonders berührenden Gemälden malerisch und grafisch verdichtet.
Zusammenfassend soll noch ein letztes Zitat, dass bei der Recherche zu Julia Dorningers Zugängen sinnbildlich hervortrat, als Conclusio nachwirken.
„Einen Raum oder einen Ort erinnern zu können, setzt vor allem voraus, dass die Erinnerung im Körper gespeichert wird. So übertragen wir alle Orte, die wir wiedererkannt haben, in Erinnerungen, die wir im Körper tragen.“ (Juhani Pallasmaa)
Achtung Staatsgrenze
Ausstellungsansichten, Die Kunstschaffenden, Linz, 2025
Pressetext
In der Ausstellung Achtung Staatsgrenze beschäftigt sich Julia Dorninger mit dem Phänomen Grenze und geht vor dem Hintergrund des Embodiment-Konzepts der Frage nach, welchen Beitrag künstlerische
Prozesse im Feld des Mediums der erweiterten Zeichnung und die damit verbundene Generierung von verkörpertem Raumwissen in Hinblick auf eine kritische Auseinandersetzung mit Erfahrbarkeit und
Wirkmacht von Grenzräumen leisten können.
Grenzen können sich auf unterschiedliche Weise manifestieren bzw. immer wieder verschieben.
Bei ihren Feldforschungen konzentrierte sich die Künstlerin auf unterschiedliche Orte entlang der ehemaligen Todeszone des Eisernen Vorhangs in den heutigen Grenzlandschaften des Mühlviertels
bzw. Südböhmens. Diese vereinen heute als Naturerbe sowie Kulturerbe die Themen von Ökologie und Geschichte auf vielschichtige Weise.
Bei ihren zahlreichen Aufenthalten in den Grenzlandschaften arbeitete die Künstlerin en plain air, um die Atmosphäre in der ehemaligen Todeszone des Eisernen Vorhangs unmittelbar und situativ zu
erleben und den diesen Orten inhärenten Beziehungen zwischen Raum, Körper, Geschichte und Erinnerung nachzuspüren. Dabei konnte untersucht werden, wie der eigene Körper mit den Landschaftsräumen
interagiert oder auf sie reagiert und über welche künstlerischen Handlungsformen sich diese Resonanzräume in visuelle bzw. strukturelle Notationen übersetzen lassen können, auch in Bezug auf das
Sichtbarmachen von in den Raum eingeschriebenen Bedeutungskonstruktionen.
Entstanden sind dabei Arbeiten, in denen sich historische Fakten zu den geschichtlichen Ereignissen entlang der Grenze mit subjektiv Erlebtem und fragmentarischen Erinnerungen an die eigene
Kindheit im Mühlviertel mischen und zu einer neuen Gegenwart formen.
Achtung Staatsgrenze
Ausstellungsansichten, Die Kunstschaffenden, Linz, 2025
© Julia Dorninger, 2025